Freilassinger Altbau-Elloks und ihre Stromabnehmer
Beitrag im DREHSCHEIBE Forum "Historische Bahn" vom 18.03.2006

Diverse Gespräche der letzten Zeit im Freundes- und Bekanntenkreis haben mich auf den Gedanken gebracht, einen kleinen Beitrag über die Stromabnehmer der Altbau-Elloks zu machen. Was lag da näher, als sich ein wenig unter den Freilassinger Altbau-Elloks umzusehen.

Freilassing war seit Beginn der Bahnelektrifizierung in Deutschland stets ein bedeutender Stützpunkt für elektrische Lokomotiven, darunter etlicher Exoten aus der Frühzeit der E-Traktion. Noch Mitte der 70er Jahre waren hier zahlreiche Altbau-Elloks stationiert, die sich auf immerhin 6 Baureihen verteilten: 116, 118, 144.0, 144.5 (in 2 optisch sehr verschiedenen Bauformen), 160 und 194. Und, wie ich persönlich auch erst rückblickend feststelle: Hier traf man so ziemlich alles an, was es zur Bundesbahnzeit an Altbau-Stromabnehmern gab.

Zugegeben, damit wildere ich gewissermaßen im Revier unseres HiFo-Kollegen Wolfgang Pischek, dem "e-lok-woife", und zwar sowohl thematisch als auch geografisch. Aber ich denke, er wird schon nichts dagegen haben. Von ihm gibt es bei www.elektrolok.de eine sehr empfehlenswerte Abhandlung - Direktlink siehe hier -, die detailliert und vollständig alle bei der DRG und DB verwendeten (Scheren-) Stromabnehmerbauarten beinhaltet; als Ausdruck und/oder Ablage auf der Festplatte ein MUSS für alle Freunde deutscher Altbau-Elloks, die sich auch ein wenig für die eingesetzte Technik interessieren. Wer Genaueres über die Stromabnehmer wissen möchte, die in den folgenden Bildüberschriften genannt werden, findet dort zu jedem Typ eine kurze Beschreibung und ein Typenbild.

Bild 01 

Freilassing, 07.05.77: Bei grausigem Wetter rangiert 160 003 eine wunderschöne Garnitur alter Eilzugwagen an den Hausbahnsteig. Solche klassischen Wagenparks waren für Freilassing ebenso charakteristisch wie die bayrischen Formsignale und die Altbau-Elloks.

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Bild 01a 

160 003 ist mit einem Stromabnehmer des Typs SBS 9 ausgerüstet, den ich hier noch einmal als Ausschnittsvergrößerung zeige. Diese älteste damals noch verwendete Bauart erkennt man an den querliegenden Glockenisolatoren im Grundrahmen und den horizontalen Querstreben in der Oberschere.

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Bild 02 

Auch wenn's jetzt ein wenig am selbst gewählten Thema vorbeigeht: Ein bayrisches Formsignal sieht man heute ja auch nicht mehr alle Tage. Deshalb noch ein weiteres Bild der 160 003, dieses Mal von hinten und vor dem Signal.

Der nach unten geklappte Signalflügel zeigt den Signalbegriff Hp Ru: "Auf dem Gleis ruht der Zugverkehr". Das Signal zeigt an, dass auf dem Gleis rangiert werden darf, es gibt jedoch keinen Fahrauftrag. Es entspricht also in etwa dem Signalbegriff Sh 1.

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Bild 03 

Nach meiner Studienfahrt an den steirischen Erzberg entstand am 01.02.75 das Bild der 144 506, einer Lok der formschönen 2. Lieferserie, die im Durchfahrgleis des Bahnhofs darauf wartet, ins Bw einrücken zu können. Und wieder kommt rein zufällig ein bayrisches Signal ins Bild (*grins*).

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Bild 03a 

Noch besitzt die Lok ihre alten SBS 10 Stromabnehmer. Dieser Typ war eine Weiterentwicklung des SBS 9. Wesentlicher Unterschied waren die querliegenden Rillenisolatoren (anstelle der Glockenisolatoren beim SBS 9). In der Vergrößerung gut zu erkennen ist die stark abgefahrene Schleifleiste.

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Bild 04 

Kurzzeitig waren auch "normale" 144 zur Entlastung der Rosenheimer Werkstatt in Freilassing stationiert. Der Einsatz der Maschinen erfolgte jedoch schwerpunktmäßig von Rosenheim aus. So war z.B. die Freilassinger 144 028 am 02.02.75 auf der Holzkirchener Strecke unterwegs. Mit P 6217 hat sie soeben Rosenheim erreicht und geht jetzt in die Zielgerade zum Bahnhof. Als ehemalige Münchnerin besitzt die Lok den unter Eisenbahnern scherzhaft so genannten "Hochwasserstreifen", also die Zierlinie oberhalb des Rahmens, mit dem das Bw Mü.Ost einen Großteil seiner 144 und 194 in Eigenregie versah. Wie die meisten 144.0 mit Betriebsnummern unter 144 110, ist auch sie mit SBS 10 Stromabnehmern ausgestattet.

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Bild 05 

194 107, die auf diesem Bild vom 01.02.75 im Rbf Freilassing zu sehen ist, hat Stromabnehmer vom Typ SBS 39, die jüngste Bauart unter den Altbau-Stromabnehmern, zu der ich nach dem nächsten Bild noch etwas sagen werde. Hier zunächst einmal nur der Hinweis, dass die Lok, wie viele andere Freilassinger 194 auch, mit dem oben bei 144 028 erwähnten Zierstreifen versehen ist.

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Bild 06 

194 183 ist ausnahmsweise mal keine Freilassinger Lok, sondern eine vom Bw München Ost. Aber das Bild entstand in Freilassing. Am 22.08.72 wartet sie neben der Mühldorfer 216 097 (ja, Mühldorf hatte nicht immer nur 217 und 218!) auf Ausfahrt in Richtung München bzw. Mühldorf. Diese Lok war für die Statistiker immer eine etwas rätselhafte Maschine, weil sie als einzige der AEG-Nachbauloks (194 178 - 196) nicht in Mannheim stationiert war, ohne dass es dafür einen nachvollziehbaren Grund gegeben hätte. Die Stromabnehmer jedenfalls waren es nicht ;-)) Das nämlich waren ganz normale SBS 39, allerdings vorn und hinten in unterschiedlicher Ausführung.

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Bild 06a 

Die Bauart SBS 39 war durch eine Wippe mit seitlich über die Oberschere hinausragenden Auflaufhörnern und eine beidseitige Diagonalverstrebung in der Oberschere charakterisiert. Beim Grundrahmen gab es 2 verschiedene Ausführungen, wie man auf den beiden Bildausschnitten deutlich erkennt:
Links der Stromabnehmer von 194 107 mit längs liegenden Isolatoren.
Rechts der Stromabnehmer von 194 183 vorn mit kreuzweise angeordneten Isolatoren. Vermutlich ist der querliegende Isolator Bestandteil der Drehwelle der Unterschere. Bisher habe ich in der Literatur noch keine Erklärungen hierzu gefunden. Da gibt's noch Klärungsbedarf!

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Bild 07 

Nachdem sich bei den Einheits-Elloks sehr schnell die Vorteile eines Fahrbetriebs mit nur einem Stromabnehmer mit Doppelschleifstück-Wippe (DBS 54) gezeigt hatten, begann die DB Anfang der 60er Jahre damit, auch die Stromabnehmer der schnellfahrenden Altbau-Elloks entsprechend umzubauen. Dabei wurde die Oberschere des jeweiligen Stromabnehmers so umgestaltet (d.h. nach innen eingezogen), dass darauf die Wippe des DBS 54 montiert werden konnte. In dieses Programm wurden alle Typen von Altbau-Stromabnehmer einbezogen.

Als erstes zeige ich 116 021, abgestellt am 01.02.75 in ihrem Heimat-Bw Freilassing. Auch im abgesenkten Zustand sind die Umbau-Stromabnehmer SBS 9/54 gut zu erkennen.

Das Bild einer "kalten" Ellok hätte ich gar nicht gezeigt, läge hier nicht im Vordergrund ein ganzes Sortiment an Altbau-Stromabnehmern so auf dem Präsentierteller, wie man es selten geboten bekommt: Vorn ein SBS 39, dann ein SBS 9 und hinten, leicht angehoben, ein SBS 10. Ganz rechts ist sogar teilweise noch ein SBS 39 mit Drehisolatoren zu sehen.

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Bild 08 

Natürlich gibt's hier auch ein Bild einer 116 vor Zug. Am 22.08.72 steht 116 020 im Bf Freilassing vor P 2541 mit dem atemberaubenden Laufweg Freilassing - Salzburg. Bestückt ist sie mit 2 Umbau-Stromabnehmern SBS 10/54, erkennbar an den querliegenden Rillenisolatoren.

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Bild 09 

Nach dem Ende der 116 wurden die noch brauchbaren Stromabnehmer SBS 10/54 auf die 144.5 umgesetzt. Neben dem Schuppen ihrer Heimat-Dienststelle sehen wir 144 503 am 07.05.77, im Hintergrund ist 194 117 abgestellt.

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Bild 10 

Durchaus nicht ungewöhnlich war die Kombination von einem SBS 9/54 und einem SBS 10/54 auf einer Lok. In diesem Zustand sehen wir 116 002 am 23.06.68 in klassischer Fotoposition im Münchener Hbf. Damals durfte die 116 noch richtige Schnellzüge fahren, wenn auch nur solche wie D241 nach Freilassing, der ab Traunstein nur noch als einfacher Personenzug deklariert ist.

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Bild 11 

Und noch eine Freilassinger 002 in München Hbf: Vor D 907 "Tauern-Orient-Express" nach Istanbul steht 118 002 am 09.05.71 abfahrbereit in den Startlöchern. Auch sie ist bereits mit Umbau-Stromabnehmern ausgestattet, allerdings des Typs SBS 39/54.

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Bild 12 

Nur zwei 116 erhielten, abweichend vom Rest der Baureihe, Stromabnehmer SBS 39/54, nämlich 116 018 und 019. Erstgenannte legt hier am 20.08.72 bei leider ziemlich miesem Wetter einen kurzen Halt im Bf. Prien ein. Dafür ist der Wagenpark des P 2821 mal wieder ein echter Hingucker.

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Bild 13 

Auch schon zu Freilassinger Zeiten fuhren die E18 nicht nur hochwertige internationale Schnellzüge, sondern mussten gelegentlich auch in niederen Diensten aushelfen. Und so sehen wir am 21.08.72 im Bf. Rosenheim die 118 013 vor E 1853 nach Salzburg.

Die Lok ist, wie alle 118 in den siebziger Jahren, mit Stromabnehmern vom Typ SBS 39/54 ausgerüstet, die aber wie bei der in Bild 6 gezeigten 194 183 unterschiedliche Grundrahmen besitzen. Bei der Durchsicht meiner Bilder zeigte sich, dass eine derartige "Mischung" gar nicht so selten war, weder bei 118 noch bei 194.

Noch besitzt die 118 013 ihre schönen alten Lampen, die später wie bei den meisten anderen 118 durch hässliche Stilaugen ersetzt wurden. Noch schlimmer war dann allerdings die ozeanblau/beige Farbgebung, die sie als eine von 3 Loks der BR 118 dann endgültig verunstaltete.

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Damit endet mein kurzer Exkurs in die Welt der Altbau-Stromabnehmer. Sicherlich ist dieses Spezialthema nur eine kleine Facette im weiten Spektrum unseres Eisenbahnhobbys, aber, so meine ich jedenfalls, eine durchaus interessante. Und wer sich nicht für die technischen Details begeistern kann, der erfreut sich vielleicht einfach nur an den Bildern aus der Altbau-Ellok Zeit, die nun auch schon lange vergangen ist.

Schönen Tag noch,
Ulrich B.